Das letzte Jahr war definitiv nicht Jinx ihr Jahr.
Nicht nur, dass plötzlich ein ganz anderer Wind wehte und sie irgendwann mit ihrem Bauch ziemlich aus der Reihe tanze, wurde sie auch noch zu einem schwindelerregend unkontrollierbaren Ein-Frau-Zirkus. Sie machte in ihrer Schwangerschaft wirklich alles mit, was es so gab. Von der Morgenübelkeit, die sich bis in den Nachmittag zog bis hin zu Stimmungsschwankungen von bis zu 360°. Das war nicht nur für sie ein Spaß sondern auch für all die armen Geschöpfe, die sich in dem Moment in ihrer Nähe befanden. Da hieß es dann bloß keine schnellen Bewegungen und beten, dass sie einfach weiter lief. Es hatte ein bisschen was von Jurassic Park nur waren die süssen Dinos wesentlich „humaner“ wenn sie einen Menschen fressen wollten.
Aber im Großen und Ganzen war Jinx ja eine nette und charmante Person... mit der besten Ausrede der Welt.
*Das sind die Hormone, ey!! Ich kann da nichts für!*. Sie ließ sich auch nicht sehr an den anderen aus. Meistens kompensierte sie ihre Laune mit jeder Menge Sport und Training und... Ben & Jerrys. Und der arme Kerl, der einen Brockhaus und diverse Kübel
Vasen! um die Ohren geworfen bekam (und Jinx warf nicht wie ein Mädchen!) war Dean. Er hatte es mit Sicherheit am schwersten mit ihr gehabt. Ihre Lieblingsaussage war
„Ich bin ein großes Mädchen! Ich binde meine Schuhe selbst, ich brauche niemanden!“. Das hatte sie auf mehreren Sprachen drauf und manche davon klangen ziemlich kryptisch...
Das Training praktiziere sie geradezu exzessiv-ganz zum Leidwesen von Dean, mit dem sie dann in den nächsten *Ring* stieg. Und Jinx wurde es nicht müde ihren Kopf noch einmal durch die Wangen hauen zu wollen.
Selbst in den ersten drei Monaten, wo man bekanntlich besonders vorsichtig sein sollte, ging sie bis an ihre Grenzen und oft genug drüber hinaus. Sie hatte sich für das Kind entschieden doch immer und immer wieder hatte sie so große Zweifel, dass sie es einfach nicht mehr ertragen konnte und suchte die Lösung nach dem Motto *Vielleicht erledigt sich mein *Problem...chen von ganz alleine*. Damit bewies sie wieder einmal, dass sie einen leichten Hang zur Selbstzerstörung hegte. Gut fühlte sie sich danach nämlich nicht. Und das nicht nur körperlich...
Ihre Kräfte hatte sie soweit im Griff. Bei Missionen und Einsätzen war sie kontrolliert doch wenn sie daheim emotional wurde konnte es schon mal zu kleineren Brandflecken kommen.
Ihr ureigener Weglaufinstinkt war Mitte der Schwangerschaft besonders ausgeprägt, wo sich langsam ein Bäuchlein abzeichnete und man ein Herzchen klopfen hörte. Zu Naina hatte sie irgendwann gehen MÜSSEN, denn da hatte noch wer hinter ihr gestanden, der sie in die Richtung geschubst hatte. Es war ihr sooooo schwer gefallen und immer wieder hatte sie die übelsten Panikattacken. Träume in denen sie sich in einer TalkShow sitzen sah mit einem recht plüschigen Kind auf dem Schoß dessen fluffiger Schwanz freudig hin und her wedelte, wenn das Publikum klatschte. Doch das war nicht das, was sie schweißnass aufwachen ließ sondern das Dean in die Show gestürmt kam und ihr das Kind wegnahm und es einer großen, rassigen Frau gab, die ganz eindeutig ein andere Kaliber von Frau war. Eine Frau mit einem wölfischen Grinsen auf den Lippen die ihr Kind nahm und ging. Und Dean... der hatte sie dann so richtig runtergeputzt und bevor man mit ihr den Boden des Studios wischte, wachte sie auf. Meistens dann mit einem heftigen Ziehen im Bauch.
Hinzu kam noch, dass Dean stiller wurde. Jinx interpretierte es natürlich für sich und ließ da kaum Raum für andere Rückschlüsse als das ihm das alles zuviel wurde und er gegen Ende doch kneifen würde.
Der Traum wiederholte sich und als Dean dann einige Nächte nicht da war...
Sie wollte das Kind streckenweise nicht. Deshalb ließ sie keinen Einsatz aus und auch keine einzige Trainingseinheit. Ein gut sitzender Tritt. Ein böser Sturz und Alles wäre vorbei gewesen. Sie würde keine gute Mutter, redete sie sich ein. Sie selbst sah das als gute Selbsteinschätzung.
Wer erinnert sich nicht an die Gute-Nacht-Geschichten aus seiner Kindheit? Da passt Aschenputtel der Schuh, der Frosch wird zum Prinzen und Dornröschen wach geküsst. Es war einmal... und dann lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende...
Märchen - der Stoff aus dem die Träume sind.
Das Problem ist nur, dass Märchen nicht wahr werden. Das passiert nur bei den anderen Geschichten, denen die mit düsteren, stürmischen Nächten beginnen und schlimm enden. Es sind die Alpträume, die anscheinend immer wahr werden. Dem der sich die Redewendung: “...sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“ einfallen ließ, sollte man kräftig in den Arsch treten.
Ihr Märchen hatte sich verabschiedet als sie über Nacht erwachsen werden musste und ihre Eltern starben.
Was, wenn ihr was passierte?! Was würde mit dem Kind werden?
Dann war der Tag gekommen an dem sie nicht mehr konnte und nicht mehr wollte.
Wenn man klein ist, hat man in der Nacht Angst weil sich Monster unterm Bett versteckt haben. Wenn man älter wird, sind die Monster überall. Es sind Selbstzweifel, Einsamkeit, Reue und obwohl man älter und weiser ist fürchtet man sich immer noch vor der Dunkelheit.
Sie hatte die Nacht kein Auge zugemacht und wenn, dann hatte sie ihre Kindheit vor Augen gehabt. Ihre Kindheit und dann ihre Zukunft. Sie würde das Kind nicht lieben können. Sie wusste nicht einmal, wie das ging, denn als sie noch geliebt wurde, war sie zu klein gewesen als dass sie sich daran erinnern konnte. Sie erinnerte sich nur an die Einsamkeit und wie es war, wenn man in einem Raum voller Leute stand und Keiner einen wirklich wahrnahm. Man wurde rausgeputzt und instruiert, dass man brav und höflich sein sollte. Ob die Strumpfhose nun kratzte oder nicht, ob das Kleid grotten-hässlich war und man viel lieber mit seinen wirklichen Freunden spielen wollte anstatt mit den verzogenen Kindern reicher Freunde, die genauso versnobt waren wie ihre Eltern. Es spielte keine Rolle und irgendwann... irgendwann fing man an zu hassen. Wie sollte sie ihrem Kind da beibringen, was Liebe ist oder es gar lieben können? Sie wusste nicht einmal, wie es ging!
Ohne groß darüber nachzudenken packte sie ihre Koffer als sie Dean weg wusste und missbrauchte den armen Matt für ihren Weglaufversuch. Mit klimpernden Wimpern und der Ausrede, sie passe nicht mehr in ihre Klamotten (was zu dem Zeitpunkt noch nicht ganz stimmte) lotste sie ihn in die City. Ihre Tasche hatte sie bereist im Wagen und nachdem sie ihn in einem der großen Kaufhäuser abgehangen hatte, war sie zurück und hatte sich ihre Tasche geschnappt. Damit war sie dann weg zum Flughafen und hatte erst gestoppt als sie vor dem Check Inn stand, das Ticket nach Neuseeland (wenn schon weg, dann richtig^^) in der Hand und einfach nicht weitergehen konnte. Trotzdem es nicht immer einfach war und die Leute ihr nicht immer lagen, war die Darkwatch für sie so was wie ein zuhause geworden. Wenn sie ihrem Kind schon nicht eins der wichtigsten Dinge beibringen konnte, konnte es ja vielleicht jemand anderes... Erst da hatte sie sich voll und ganz für die DW entschieden und keinen weiteren Weglaufversuch mehr unternommen.
Bis zum letzten Tag ihrer Schwangerschaft hatte sie aufs Training nicht verzichtet. Ihr Volumen hatte sich hauptsächlich nach vorn ausgedehnt sodass erst ihr Bauch durch die Tür trat und dann erst Jinx. Der watschelnde Gang brachte sie um und irgendwann hatte sie es aufgeben, es mit hohen Schuhen und einen eleganten Hüftschwung auszugleichen, Chucks reichten schließlich auch und Scheiße! Sie war eben keine 1,78m groß.
An die Witze hatte sie sich gewöhnt und auch sonst war sie gegen Ende der Schwangerschaft von irgendwelchen Leiden befreit. Wahrscheinlich, weil sie sich da auch erst wirklich hatte helfen lassen. Als sie dann joggen war... Tcha, man hatte ihr gesagt, dass sie das lieber lassen sollte...
1 1/2 Stunden später war klein Colin dann da wobei der so klein gar nicht war und eher seinem Vater nacheiferte. Als sie den Kleinen dann im Arm hatte, hatte sich ihr nur eine Frage gestellt und die lautete
„Wie kann man jemanden so lieben, den man gar nicht kennt?“ Doch mit der Schwangerschaft endeten noch lange nicht die Probleme...
Es kamen Neue auf.
Sie hießen Selbstzweifel, Verantwortung, Verweigerung, Wut und Verleugnung...
Des Tags war es so- des Nachts ganz anders...Colin ist ein aufgeweckter Schelm und das schon obwohl er noch so klein ist. Dennoch scheint es so, als könne Jinx nicht wirklich was mit ihm anfangen. Sie gibt sich distanziert und schaut oftmals nicht mal in den Kinderwagen, wenn Sophia oder Giles oder wer auch immer grad die Nanny spielte, an ihr vorbei schob. Wenn er dann aber mal schreit –was wirklich selten ist- zuckt Jinx zusammen und ihre Konzentration ist dahin. Das ist gerade im Training ein Problem weshalb sie ihn da auch nicht in ihrer Nähe wissen will. Sie kommt nicht mit ihren Gefühlen klar und weiß nicht damit umzugehen. Sie traut sich nicht und dem was da in ihr wütet. Nachts sah es da ganz anders aus...
Bei dem kleinsten Geräusch ist sie auf. Früher war das schon schlimm doch nun war es noch schlimmer. Auf leisen Sohlen macht sie sich dann auf in das Zimmer ihres Sohnes. Er war noch nie in ihren Armen aufgewacht wenn sie ihn aus seinem Bettchen holte und sich mit ihm auf das kleine Sofa legte. Sie packte ihn in seine Decke und legte ihn an ihr Herz, summte sich und ihn in den Schlaf und wenn sie sich am nächsten Morgen wieder in ihrem Bett befand, fühlte sie sich schrecklich. Dennoch überspielte sie es.
So, wie sie es immer tat...
--> Klein Colin